Fachtag „Familie von morgen. Neue Werte für die Familie(npolitik)“

Vom 5. bis 7. April 2017 fand im Tagungswerk in Berlin-Kreuzberg der Fachtag „Familie von morgen. Neue Werte für die Familie(npolitik)“ statt, den die BMH in Kooperation mit der Evangelische Akademie zu Berlin und dem Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte durchgeführt hat.

Wie die breite Kooperation bereits nahelegt, war die Tagung interdisziplinär angelegt. Um das Potenzial und die Herausforderungen der gelebten Vielfalt von Familie für Politik und Ethik näher zu fassen, wurden daher deskriptive Zugänge (historisch, soziologisch) ins Gespräch gebracht mit normativen Zugängen (ethisch, rechtlich, politisch). So konnten die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Leitbilder hinter der gelebten Vielfalt von Familie erkennbar gemacht und miteinander ins Gespräch gebracht werden.

Es kamen die unterschiedlichsten Personen zusammen: Menschen mit Verantwortung in der Familienpolitik, Multiplikator_innen in der Sozialarbeit und in der kirchlichen Gemeindearbeit mit Familien, Kindern und Jugendlichen, Multiplikator_innen aus den Bereichen Gender Studies , Diversity und Regenbogenfamilien, kirchliche Fachbeauftragte für die Arbeit mit Familien, Kindern und Jugendli-chen, Wissenschaftler_innen und Studierende aus den Bereichen Pädagogik, Soziologie, Geschichtswissenschaften, Kulturwissenschaften, Theologie und Religionspädagogik sowie persönlich Interessierte aus diesen Bereichen und Medienvertreter_innen.

Die Tagung war in drei große thematische Blöcke aufgeteilt, einen historisch angelegten („Die gelebte Vielfalt von Familie – gestern und heute“), einen soziologisch und rechtlich angelegten („Bedingungen der gelebten Vielfalt von Familie“) und einen ethisch-theologischen („Familie stärken heißt, die gelebte Vielfalt von Familie stärken“).

Im ersten Block wurde nachgezeichnet, wie sich das Bild der Familie im Laufe der Zeit von der christlich-bürgerlichen Familie im Kaiserreich bis zu vielfältigen aktuellen Lebensgemeinschaften stark ausdifferenziert hat. Außerdem wurde die Pluralität aktueller familialer Lebensformen in ihren Facetten dargestellt: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern bilden heute bspw. ganz selbstverständlich auch Familien und ebenso werden Alleinerziehende stärker als Familie akzeptiert, als dies früher der Fall war – auch wenn die Barrieren jeweils immer noch hoch sind. Dabei hat sich dass sich das Konzept Familie keineswegs überlebt – sie gilt nach wie vor als Ort für Sicherheit aber auch Sehnsucht für viele Menschen.

Die thematischen Einheiten am zweiten Tag beschäftigten sich vor allem mit den Bedingungen unter denen Kinder in vielfältigen Familien mit erwerbstätigen Eltern aufwachsen und welchen Einfluss Bildung auf vielfältige Formen von Familien hat. So wurde bspw. diskutiert, inwiefern die Bildungschancen von Kindern zum großen Teil davon abhängen, wie vorhandene Bildungsangebote in den Familienalltag integriert werden können.

In drei parallelen Sektionen ging es außerdem um die Themen Partnerschaft, intergenerationale Beziehungen sowie um Geschlechterrollen und familiale Beziehungen. Hier wurden sehr unterschiedliche Aspekte betrachtet, von verschiedenen Fürsorgebeziehungen in Familien über Regenbogenfamilien bis hin zu polyamoren Familienkonstellationen.

Abschließend wurde erörtert, inwiefern vielfältige Familienformen nicht nur selbst bedroht sind sondern auf die Mehrheitsgesellschaft auch bedrohlich wirken. Dass es Familienleben heute in vielfältigen Formen gibt führt auch immer wieder zu Irritationen und Konflikten. Denn wie Familie gelebt wird, hat etwas mit der tiefsten kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Prägung zu tun. Einen guten Umgang damit zu finden und das Positive von Vielfalt in den Vordergrund zu rücken war Teil der abendlichen Diskussion.

Der dritte Block des Fachtags griff die Frage auf, welche Kriterien es für das Zusammenleben verschiedener Familienformen gibt und beleuchtete in der abschließenden Podiumsdiskussion neue Werte für die Familie(npolitik). Neue Werte für vielfältigen Familienformen bedingen zumeist auch neue Kriterien, mit der gesellschaftlichen Entwicklung in eine rechtliche Form gegossen wird, die sie entweder schwächen oder stärken können. Die Schlussrunde schlug den Bogen von alten Bildern zu neuen Werten in Familie und Gesellschaft. Die Podiumsteilnehmer_innen hoben hervor, dass vor allem die institutionelle Familienpolitik neue Werte von pluralen Familienformen berücksichtigen sollte, in denen auch vielfältige Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen einen (rechtlich abgesicherten) Rahmen finden. Dabei gelte es auch, die gesamtgesellschaftliche Einsicht in den bereits vollzogenen Wandel von Familien zu stärken. Familie ist nicht statisch, hieß es, und „je stärker Familien in der Gesellschaft sind, umso stärker ist auch die Gesellschaft“.

Wie solche neuen Werte aussehen könnten wurde von den Vertreter_innen aus Wissenschaft, Kirche und Politik recht ähnlich formuliert: alle gehen von einem verlässlichen, verbindlichen Familienbild aus, getragen von Vertrauen und Verantwortlichkeit – dieses ist jedoch keineswegs an monogame Cis*- und Hetero-Familien gekoppelt sondern kann in unterschiedlichsten Konstellationen stattfinden. Damit es den Familien von morgen gut gehen kann, bedarf es außerdem noch erheblicher Veränderungen in der Infrastruktur. Der Staat wurde aufgefordert, dafür erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit zum Beispiel eine bessere Versorgung mit Kitaplätzen oder Pflegekräften gewährleistet werden kann. Die vorherrschende strukturelle Heteronormativität in der bundesdeutschen Familienpolitik müsse zudem von einem Kulturwandel begleitet werden. Der Fachtag, so das Fazit der Runde, machte deutlich, dass den Chancen aktuell gelebter Vielfalt noch vielfältige Zwänge und Probleme gegenüberstehen.

Der Dialog zwischen Geschlechterforschung, LSBTTIQ-Politik, Ethik und kirchlichen Organisationen erwies sich insgesamt als sehr fruchtbar. Es zeigte sich deutlich, dass insbesondere was den Wert von Vielfalt und die Anerkennung verschiedenster solidarischer Fürsorgebeziehungen angeht – egal in welchen Geschlechterkonstellationen sie gelebt werden – durchaus mehr Überschneidungen vorhanden sind, als auf den ersten Blick gedacht.

Weitere inhaltliche Eindrücke bekommen Sie auch in den beiden Radiobeiträgen vom Deutschlandfunk (hier) und Deutschlandradio (hier als MP3).

Für die finanzielle Förderung danken wir dem Bundesministerium für Familie, Soziales, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Diakonie Deutschland (Bundesverband).